Der Artikel wurde am 08.05.2024 aktuallisiert oder erweitert.
Eine Trennung von einem lieben Menschen, ist immer schlimm. Wie kommen Autisten damit klar und wie unterschiedlich sind die Abläufe, Gefühle und Vorgehensweisen von Autisten gegenüber Allisten, wenn jemand stirbt oder eine Beziehung beendet wird, also eine Trennung statt findet. Mehr zu dem Thema Umgang beim Verlust eines lieben Menschen.
Seit meiner Autismus-Diagnose bin ich immer noch dabei, vieles, was ich in meinem Leben erfahren habe, zu verarbeiten und vor allem neu einzuordnen. Denn wo ich früher als komisch bezeichnet wurde, kann ich heute sagen, dass ich lediglich anders bin als die Definition von Allisten, welches Verhalten bei Menschen gut ist und welches Verhalten als eher schwierig betrachtet wird. Bei dieser Neueinordnung der Vergangenheit geht es mir auch um den Verlust von Menschen, die mir wichtig waren und am Ende einer Beziehung nicht mehr in meinem Umfeld sind, aus Sicht eines Autisten.
Durch meine letzte Trennung in einer Beziehung habe ich das erste Mal wahrgenommen, dass allistische Menschen mit einer Trennung komplett anders umgehen und auch hier wieder das „Double Empathy Problem“ zum Tragen kommt: Man versteht einander nicht, warum sich der andere nach einer Trennung anders verhält, als man es selbst macht. Hierbei geht es zB darum, dass allistische Menschen eine Trennung sehr emotional verarbeiten, mit Trauer und Wut und autistische Menschen über den analytischen, sachlichen Weg die Trennung verarbeiten. Klar, auch wir können traurig sein und auch ich war es. Jedoch anders als allistische Menschen. Dann kommen noch die Unterschiede von Weiblein und Männlein obendrauf, was die Sache nicht vereinfacht.
Nun habe ich mir meine letzten Beziehungen, die leider auseinandergegangen sind, genauer angeschaut. Zudem habe ich auch in einschlägigen sozialen Netzwerken geforscht und bewertet, ob sich denn meine Gedanken als Autist zum Thema Trennung nur auf mich beziehen, oder ob unter Umständen auch andere Autisten das genauso oder ähnlich sehen und sich vergleichbar verhalten. Dazu habe ich Allisten befragt, wie sie denn eine Trennung wahrnehmen, damit für mich ein möglichst homogenes Bild entstehen konnte.
Was fühlen Allisten und Autisten bei der Trennung
Bei all den Recherchen und Analysen ist mir aufgefallen, dass gerade beim Thema Trennung eine extrem stark differenzierte (unterschiedliche) Verarbeitung stattfindet. Da ich hier keine Tiefenanalyse durchführen kann und ich auch keine wissenschaftlichen Erhebungen dazu gefunden habe, versuche ich die Beschreibungen möglichst sehr abstrakt und pauschal zu formulieren, um ein grundsätzliches Verständnis zu vermitteln.
Trennungsschmerz bei Allisten
Wenn Allisten sich trennen oder verlassen werden, sind sie im Allgemeinen danach eine längere Zeit mit der Verarbeitung beschäftigt, die in gewisser Weise einer Trauer entspricht.
Dazu kommt auch Wut (die eigene) und auf den Ex-Partner, der einen eventuell verlassen hat und nicht mehr da ist. Auch werden bei allistischen Menschen im Rahmen der Wut gerne auch Argumente hergenommen, die eigentlich die ganze Beziehung rückwirkend infrage stellen.
Die Wut, so beschreibt es die Psychologie für Allisten ist Teil des Verarbeitungsprozesses.
Zusammengefasst lässt sich sagen, dass Allisten nach einer Trennung eine längere Phase haben, die sich mit dem Abschied nehmen beschäftigt und häufig durch eine Kombination aus Wut und Trauer besteht. Dies muss nicht zwangsweise mit einem Rückzug aus dem gesellschaftlichen Leben einhergehen. Es kann auch in die andere Richtung gehen, dem "jetzt lasse ich es krachen" oder dem Einholen von Bestätigung, dass man noch attraktiv und doch ein beziehungsfähiger Mensch ist, oder sich andere wohlwollende Dinge bei potenziellen Partnern einholt. Je nach Ausprägung kann sich dies über Wochen oder sogar viele Monate hinziehen. Dies hängt auch davon ab, ob der Allist verlassen wurde oder selbst die Beziehung verlässt. Ersteres ist grundsätzlich sehr schwerwiegend und deutlich schmerzhafter, als eine Beziehung zu verlassen.
Danach ist der Allist meist wieder offen für neue ernsthafte Beziehungen. Sicherlich mit guten Erinnerungen an schöne Zeiten, aber auch ein paar schlechten Erfahrungen, die Einfluss auf eine neue Beziehung haben können.
Wie ergeht es dem Autisten?
Wie auch bei den Allisten gibt es bei den Autisten keine eindeutigen Aussagen. Auch bei Autisten sind die Reaktionen und Verarbeitungsweisen von vielen Faktoren abhängig. Bei der Recherche ist mir jedoch aufgefallen, dass es zwei verschiedene häufig vorkommende Verarbeitungsabläufe gibt, die jedoch bei einem Allisten unter dem Strich denselben Eindruck hinterlassen.
Variante 1: Rückzug
Bei dieser Variante ist es so, dass sich Autisten komplett zurückziehen, nicht nur von der früheren Partnerschaft, sondern auch vom kompletten Leben und dem kleinen (auf die Anzahl der Menschen bezogen) sozialen Umfeld, das sie vielleicht pflegen.
Ihnen fehlt die Kraft und alles fühlt sich im Prinzip wie ein Meltdown an. Es kostet uns wahnsinnig viel Kraft und Energie, was sich auch im Gewicht und dem Essen – meist der Art des Essens – widerspiegelt.
Sehr häufig sind Autisten diejenigen in einer Beziehung, die als Ursache für das Scheitern verantwortlich gemacht werden. Daher: zieht sich der Autist zurück, um nicht noch mehr Schaden anzurichten, was natürlich bei einer Trennung ohnehin schon fast egal ist. Es ist nicht zwingend ein bewusstes Entscheiden, dass sich der Autist zurückzieht, „es passiert einfach so“, dass der Autist sich zurückzieht, meist komplett.
Autisten ziehen sich dann in der Form zurück, dass sie ihre Hirn- und Gedankenstrukturen herunterfahren und das Verhalten eher einer Übersprungs-Handlung gleichkommt, die wenig bis nicht gesteuert ist. Der Autist wäre am liebsten alleine auf einer Insel.
Zudem kommt, dass dann für den Autisten klar wird, dass alles, was als wunderbare Routine im Leben und der Beziehung integriert wurde, plötzlich nicht mehr so funktionieren wird und der Autist sich wieder neue Routinen entwickeln und verinnerlichen muss. Auch hier hat sich aus Recherchen die Theorie entwickelt, dass dies eher unbewusst passiert, sondern dass es unbewusst passiert, was die Sache nicht besser macht.
Es ist etwas, das uns so viel Kraft kostet, dass wir sonst nicht mehr viel unternehmen können und wir in einen „Low-Energy“ Modus herunterfahren. Quasi eine Art Winterschlaf.
Besonders wichtig ist es nun zu erwähnen, dass dieser Rückzug sich weniger mit der Vergangenheit beschäftigt, sondern mehr mit dem Jetzt und einem fehlenden Plan für die Zukunft. Plötzlich ist alles leer.
Die Beziehung als solche ist relativ schnell abgearbeitet und es bleiben nur die Verletzungen aus Diskriminierung und Ausgrenzung und das schlechte Gefühl, wieder einmal nur dadurch, dass man ein neurologisch anderes Set-up hat, ein schlechter Mensch zu sein.
Variante 2: Vergessen und weiter machen
Andere Autisten hingegen benötigen ein paar Tage, um das Thema zu verarbeiten.
Dann ist dieser frühere Partner plötzlich ein Mensch wie jeder andere auf der Straße und man ignoriert ihn fast schon. Man möchte mit diesem Menschen nichts mehr zu tun haben, denn warum soll man einen Menschen noch grüßen oder reden, wenn man doch keine Beziehung mehr mit hat? – Ein schmerzhaftes Empfinden für den früheren allistischen Partner, der zusätzlich darunter leidet.
Er spielt keine Rolle mehr im Leben, also – wie immer – wird der Autist ressourcenschonend damit umgehen und nur noch notwendige Kommunikation führen. D. h. ein Autist wird auch hier in einen gewissen – unbewussten – Rückzug gehen, aber dennoch kein allzu großes Problem damit haben, wenn der Ex-Partner auch mal um ihn herum ist.
Es gibt nun mal nichts mehr zu bereden. Dies bedeutet gegenüber einem allistischen Partner, dass dieser sich schnell miserabel fühlt, da er sich zudem noch ausgegrenzt fühlt.
Klar, es gibt Erinnerungen, aber die spielen lange keine Rolle, da auch hier der Autist seine volle Gehirnleistung benötigt, um zu verarbeiten und sofort nach neuen Routinen zu suchen.
Dies erfolgt hier im Gegensatz zum obigen Beispiel sehr proaktiv und der Autist versucht rasch ein eigenständiges, möglichst auf neun Routinen basierendes Leben aufzubauen.
Gemeinsamkeiten der beiden Varianten
Beide Beispiele haben eins gemeinsam, ob offensiv oder zurückgezogen; der Autist vermittelt dem allistischen Expartner das Gefühl, dass dieser schon abgeschrieben ist und man als Autist sich nicht in einer Trauer befindet.
Ein schwerwiegender Irrtum!
Gerne wird man als Autist dann auch gefragt, ob man den Expartner jemals geliebt hatte, wenn man so „schnell“ über eine Beziehung hinwegkommen kann. Die Antwort ist einfach, aber auch hart zugleich: ja, ein Autist kann sehr schnell eine Beziehung verarbeiten, weil er sich eingehend und wie so oft üblich sehr tief mit der Trennung und den Ursachen beschäftigt hat. Er hat das Thema einfach intensiv und schnell verarbeitet.
Viel mehr muss ein Autist nun neue Abläufe finden und schnellstens als Routinen etablieren. Ein Autist wird die schönen Dinge aus der Vergangenheit vermissen, aber er wird den Ex-Partner in einer Beziehung nicht mehr wie einen früheren Partner behandeln (so wie Allisten), sondern wie jeden anderen Menschen auf der Straße auch: meist ignorieren.
Dies führt unweigerlich dazu, dass allistische Expartner in aller Regel ihre Wut gegenüber dem autistischen Expartner verstärken, was durchaus in Hass enden kann.
Gibt es einen Weg nach vorne?
Diese Frage lässt sich nur schwer beantworten, da man theoretisch für jede mögliche Kombination von unterschiedlichen Autisten und unterschiedlichen Allisten eine Antwort bräuchte.
Generell lässt sich jedoch sagen, dass beide Seiten erkennen müssen, dass der Expartner den Trennungsprozess auf eine andere Art und Weise verarbeitet.
Nur durch diese Differenzierung wird es möglich, dem anderen seine Art der Trauer zu ermöglichen und eine Trennung nicht in einem Rosenkrieg enden zu lassen, was leider zu häufig vorkommt.
In verschiedenen einschlägigen Foren berichten einige Menschen davon, dass sie bereits wenige Tage nach einer Trennung wieder offen waren für eine neue Beziehung. Ach so, hier geht es um Autisten und nicht um Allisten!
Dies bedeutet aber nicht, dass der Autist in der Vergangenheit nicht geliebt hat. Es ist seine Art, mit dieser Trauer umzugehen, da er in der Zukunft andere Themen zu lösen hat als der Allist.
Verständnis ist wichtig und das gemeinsame Ziel, bei einer Trennung möglichst wenig zusätzlichen Schaden durch eigene verletzte Eitelkeiten, Wut und Trauer anzurichten.
Eine Trennung tut weh, bei einem Allisten und einem Autisten.
Quellen/Hinweise/Fußnoten:
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