Regeln und Strukturen sind für Autisten ein wesentlicher Bestandteil ihres Alltags. Die Methode der Zeitplanung ermöglicht es, dass man nicht mehr alles vor sich herschiebt, sondern die Aufgaben in der Woche verteilt, um Stress-Peaks durch das ständige verschieben zu vermeiden. Zudem ergeben sich Freiheiten, da man weiß, wann man sich auf eine Pause zur Selbstfürsorge freuen kann und sie geben einen Überblick nach vorn. Dadurch schafft man sich einen selbstorganisierten Tag, den man kennt und somit die anstehenden Aufgaben bereits etwas Vertrautes haben. Diese Möglichkeit lässt sich auf eine einfache Weise deutlich optimieren.
Das Problem
Man erwacht morgens und der Kopf beginnt, über alles Mögliche nachzudenken, viele Autisten kennen das. Man beschäftigt sich mit vielen Gedanken, die einen zum Teil schon den Tag oder die Tage zuvor zum Grübeln gebracht haben. Das Gehirn ist sehr schnell auf Hochtouren und wir verlieren uns dann gerne in diesen Gedanken, die auch Energie kosten und Zeit beanspruchen. Dadurch fangen wir u. U. schon am Morgen an, alles zu verschieben.
Als Folge dessen fehlt Zeit und notwendige Ressourcen, um den Überblick für den Tag oder gar die Woche zu behalten. Plötzlich ist man getriebener von den aufkommenden Aufgaben und Terminen, die bei genauem Betrachten jedoch vorher schon bekannt waren.
Dadurch entstehen zwei Stressfaktoren, die uns Löffel wegnehmen und den Akku schneller leer werden lassen.
- Stressfaktor 1: Es gibt den eigentlichen Termin, wie er in der Schule oder in der Arbeit vorkommt und zudem schon ausreichend Stress in einer neurotypisch geprägten Welt verursacht.
- Stressfaktor 2: Zusätzlich wird man durch die fehlende Übersicht gestresst, da man immer wieder versucht, diesen Überblick zu erhalten.
Lösungsansatz 1/3 – Kalendereinträge
In einem möglichen ersten Schritt beginnt man, sich detaillierte Termine in den Kalender einzutragen. Interessanterweise habe ich das bei einigen Autisten schon gesehen und brauchte mich dann nicht mehr wundern, dass ich damit angefangen habe.
Beispiel:
- 05:45 Aufstehen
- 06:00 Kleider für den Tag prüfen
- 06:15 Bad + ankleiden
- 06:45 Frühstücken
- 07:15 Fertig machen + Haus verlassen
- 07:30 zum Bus gehen
Über die Nutzung eines Kalenders mit Terminen wird einem ermöglicht, den Tagesablauf fast schon minutiös zu planen. Der Tag hat somit eine Struktur, für Termine und Selbstfürsorge und wir brauchen uns nur noch an diesem Terminplan entlang hangeln. Jedoch ist der Kalender dann auch voller Termine.
Auch bei mir ist der Tag im Kalender komplett gefüllt, meistens auch an den Wochenenden und dies mit den entsprechenden visuellen und akustischen Erinnerungen.
- akustisch: das Smartphone gibt ein akustisches Signal von sich.
- visuell: dass die Erinnerung im Display oder am Rechner angezeigt wird.
Eine weitere technische Hilfe, um einen Termin nicht zu vergessen ist bei mir eine Apple Watch. Es gehen heutzutage auch andere Smartwatches. Denn die Termine werden zur Uhr synchronisiert. Diese vibrieren zu den eingestellten Erinnerungszeiten so deutlich, dass man auf jeden Fall daran erinnert wird.
Vorteil: weniger Löffel gehen weg und der Akku wird weniger schnell geleert.
Lösungsansatz 2/3 – Wecker stellen
Natürlich wird es vorkommen, dass man einen dieser Termine dennoch übersieht und es wird immer der Termin am Tag sein, der besonders wichtig ist.
Es kann sich z. B. um einen Arzttermin handeln, für den man gerne mal ein Jahr warten muss (bei mir war es das MRT). Für solche wichtigen Termine stellen sich Autisten gerne noch einen Wecker.
Wenn der Wecker nun "klingelt", melden sich das Smartphone und bei mir die Apple Watch sehr deutlich durch vibrieren und ein lautes bimmeln. Der Vorteil eines Weckers ist, man muss ihn aktiv abstellen, oder auf "Schlummern" stellen, da er nicht von alleine aufhört.
Diese Maßnahme schafft zusätzliche Sicherheit, da man nicht immer noch zusätzlich an diesen wichtigen Termin denken muss, um ihn nicht zu vergessen.
So sind bei mir z. B. in der Wecker App für aktuell 25 einzelne Wecker gelistet, die ich mir stelle, um wichtige Termine nicht zu verpassen. Außerdem sind viele Wecker immer wiederkehrende Wecker an bestimmten Tagen und Uhrzeiten. Ich selber habe nicht für jeden einzelnen Termin in meinem Kalender einen Wecker, sondern nur für bedeutende und wichtige Termine.
Hier ein paar freie Beispiele für Wecker:
Wecker 1 (05:45)
- wiederholend: Mo.–Fr.
- aufstehen
Wecker 2 (06:45)
- wiederholend: Mo.–Fr.
- Frühstücken beginnen
Wecker 3 (07:00)
- wiederholend: Mo.–Fr.
- Tabletten nehmen
Wecker 4 (09:00)
- wiederholend: Sa.–So.
- Tabletten nehmen
Wecker 6 (07:30)
- wiederholend: Mo.–Fr.
- Haus verlassen + zum Bus
Wecker 18 (17:30)
- wiederholend: jeder 1. Montag im Monat
- Fertig machen + Anfahrt SHG + Tablettenbox
Wecker 21 (21:00)
- wiederholend: Mo.–Fr.
- Selbstfürsorge + Glückstagebuch
Wecker 22 (22:00)
- wiederholend: Sa.–So.
- Selbstfürsorge + Glückstagebuch
Lösungsansatz 3/3 – Aufgaben / Erinnerungen
Im dritten Schritt ist es ratsam, sich alle seine Gedanken, die einem so in den Sinn kommen, als Notizen aufzuschreiben. Damit sorgt man dafür, dass man ressourcenschonend durch den Tag kommt, da man seine Gedanken sofort nieder schreibt und sie dann erst einmal aus dem Gehirn "entfernen" kann. In der Apple-Welt nennen sich die Aufgaben Erinnerungen.
Eine Liste, die ich einmal definiert habe, dient mir im Wesentlichen dazu, meine Gedanken, die ich noch zu Ende analysieren muss, niederzuschreiben und damit meinen Kopf freizubekommen.
In den Erinnerungen landet alles, was ich nachdenke, irgendwann einmal erledigen muss oder aus anderen Gründen nicht vergessen möchte. Vom Lebensmittel-Einkauf, über einen Film, den ich anschauen möchte, über Tennisbälle bestellen, oder dass ich Messer für die Hobelmaschine bestellen muss.
Dies sind Dinge, die ich nicht vergessen möchte, aber nicht unbedingt sofort erledigen muss. Kurz: aufschreiben und raus aus dem aktiven Gehirn.
So ist es völlig ausreichend, wenn ich zwischendurch am Abend, jedoch meistens am Wochenende diese Erinnerungen durchgehe. Dabei übernehme ich dann die wichtigsten oder dringlichsten Erinnerungen und übertrage diese als Termin in den Kalender. Zudem stelle ich mir bei Bedarf noch einen Wecker.
Der Nachteil dieser Lösungen
Klingt doch super! Nun, es ist zwar nahezu perfekt, aber leider nicht ganz. Diese Ansätze sind grundsätzlich gut, haben jedoch einen Nachteil:
- Es mangelt an einer Übersicht über das Gesamtbild!
Mit den oben beschriebenen Lösungen kann man den Akku-Verbrauch reduzieren und von einer meist tiefen Detailebene hin zu einer abstrakteren Sicht gelangen.
Trotzdem fehlte mir noch immer etwas, dass mir den Gesamtüberblick zur Verfügung stellt. Ich brauchte ein Gesamtbild, das ich in wenigen Augenblicken erfassen kann und den Tag in seinen grundlegenden Strukturen erkenne.
Der Wochenplan
Ich habe mir wieder ins Gedächtnis gerufen, dass ich früher in der Schule einen Stundenplan hatte. Im Stundenplan waren lediglich die Fächer, ohne weitere Details, eingetragen. So hatte ich einen Überblick, welche Fächer ich an einem Tag habe und in welchem Gebäude und Raum ich wann sein muss.
Mit dem Stundenplan hatte ich eine konkrete Orientierungshilfe über den Tag, was das Packen des Schulranzens betraf und ich hatte zudem eine visuelle Route im Kopf, wie ich zwischen den verschiedenen Gebäuden und Räumen komme (wir hatten mehrere Gebäude).
Die Idee war geboren: Basierend der Stundenplan-Struktur habe ich mir dann einen Wochenplan gebaut und den Tag in fünf Phasen eingeteilt. Dort gibt es dann Platz für Dinge, die ich am …
- Morgen
- Vormittag
- Mittag
- Nachmittag
- Abend
mache und erledigen werde. Zudem sind sowohl private als auch berufliche Themen aufgelistet. Ich hatte nun einen Überblick über den Ablauf eines Tages und die wöchentlichen Aufgaben.
- Wann bin ich im Office,
- wann habe ich Termine bei Ärzten,
- wann sind wir bei Freunden, oder
- wann nehme ich mir Zeit für mich (Selbstfürsorge)
Somit befasse ich mich schon beim Erstellen des Wochenplans mit der Struktur für die Woche und bekomme so ein besseres Gefühl über den Wochenablauf.
Umsetzung
Der Wochenplan ist so konzipiert, dass er auf einem DIN-A4-Blatt untergebracht ist. Dann habe ich mir 3 dieser Wochenpläne ausgedruckt (3 x DIN A4). Im Anschluss habe ich jeden dieser Wochenpläne laminiert. Laminieren hat den Vorteil, dass ich mit abwaschbaren Stiften meine Sachen eintragen und ggf. wieder entfernen kann, wenn ich mich bei der Planung vertan habe oder sich eine Änderung ergeben hat.
Wenn der Wochenplan ausgefüllt ist, enthält er die Angabe zur Kalenderwoche und was ich in dieser Woche zu tun habe, bzw. möchte.
Es sind drei Wochen geworden, da ich auch wichtige Termine habe, die in der Zukunft sind, die möglicherweise etwas mehr Zeit und Vorbereitung erfordern. Gerade zur Weihnachtszeit kann man schnell eine Ahnung davon bekommen, wie groß die Gefahr eines Overload oder eines Meltdowns sein kann. Vorplanung ist hier schon viel Wert.
Wenn dann die aktuelle Woche vorbei ist, entferne ich die Einträge und die Vorlage kommt nach hinten in den kleinen Stapel.
Die Vorgehensweise ist dabei wie folgt:
1) Es werden die wichtigsten und dringendsten Termine eintragen.
2) Dann trage ich Zeiten für die Selbstfürsorge ein. Meist ca. 30–60 Minuten.
3) Danach folgen die Eintragungen von administrativen Aufgaben (Stadtverwaltung, Dokumente einscannen und ablegen …), oder aus Erinnerungen / Aufgaben zur Erledigung
5) Dann werden noch die Termine mit Freunden und Bekannten eingetragen.
Es gibt keine festen Regeln, nach denen der Plan auszufüllen ist. Manchmal braucht es zwei Stichworte und manchmal reicht eines, wie „Schule“.
Ein Plan für Kinder
Das folgende Beispiel zeigt einen Plan für einen Schüler, der zur Schule geht.
In diesem beispielhaften Plan sind alle wesentlichen Dinge eingetragen. Beginnend mit dem morgendlichen aufstehen, was man morgens noch erledigen muss, wie die Schule tagsüber gestaltet ist, bis zu Terminen, mit Freunden oder beim Sport.
Ein Plan für Erwachsene
Der hier gezeigte exemplarische Plan ist für einen Erwachsenen.
Auch hier sieht man wieder, dass private wie berufliche Termine kombiniert sind.
Erfahrungen zum Einsatz des Wochenplans
Ich benutze den Kalender schon seit längerem. Die gesammelten Erfahrungen möchte ich gerne weiter geben.
Die Wochenplanung hat mir wieder ermöglicht, abstrakt den angedachten Verlauf einer Woche zu erfassen und ein Gefühl für einen längeren Zeitrahmen (die Woche) zu bekommen. Ich erlebe eine deutlich stressreduzierte Woche und erlebe auch deutlich weniger Überraschungen, die ich gar nicht ertragen kann.
Der Wochenplan ist eine Art Klammer über die verschiedenen Möglichkeiten, Termine zu planen, Erinnerungen aufzuschreiben und sich passende Wecker zu stellen.
Erkenntnis 1:
Man muss lernen, alles Wichtige aufzuschreiben, ohne in Details zu versinken, jedoch auch ohne etwas zu vergessen. So wenig wie möglich und so viel wie notwendig.
Erkenntnis 2:
Bei mir dauert es ca. 30–45 Minuten, um eine dreiwöchige Wochenplanung zu erstellen. Währenddessen wird der Kalender geprüft und Zusatzeinträge erstellt, die Erinnerungen geprüft, in Termine übernommen und erledigte Dinge „abgehakt“ und notwendige Wecker gestellt.
Erkenntnis 3:
Es ist möglich, dass die Eingewöhnungszeit bis zu 3 oder 4 Wochen dauern kann. Eingewöhnung bedeutet, dass man diesen Kalender richtig befüllt und ihn entspannt lesen kann, also an diese Form der Darstellung gewöhnt ist.
Erkenntnis 4:
In der Regel dauert es etwa drei Monate, bis man eine neue Aufgabe in seinem Leben als Routine umgesetzt hat. Diese Erkenntnis ist unabhängig von der neurologischen Gehirnstruktur.
Einen ähnlichen Zeitrahmen hatte ich auch. Am Anfang vergaß ich den Wochenplan öfter auszufüllen, dann vergaß ich den Wochenplan anzuschauen und so war der Wochenplan am Anfang keine wirkliche Hilfe und Unterstützung.
Jedoch, von Woche zu Woche wurde es besser. Wenn ich in den Anfängen morgens und abends hineingeschaut habe, mache ich das inzwischen mehrmals am Tag. Darüber hinaus nehme ich auch die Wochepläne mit, wenn ich tagsüber oder gleich mehrere Tage unterwegs bin.
Erkenntnis 5:
Es braucht einen festen Platz, an dem der Wochenplan liegt – immer liegt. Nur so kann sich die Nutzung als Routine festigen und wird nicht durch neue Parameter (= neuer Ablageplatz) gestört. Bei mir ist es der Esstisch, zusammen mit der Tablettenbox. Da die Tablettenbox bereits in meinen Alltag integriert ist, war es einfacher, den Wochenplan in meinen Tagesablauf einzubinden.
Zusammenfassung
Für Menschen mit Autismus stehen drei hervorragende Möglichkeiten (Termine, Erinnerungen, Wecker) zur Verfügung, damit sie sich nicht mehr alles im Kopf behalten müssen.
Eine Methode der Wochenplanung kann es ermöglichen, verschiedene Quellen (Kalender, Aufgaben, Erinnerungen) zu bündeln und über ein einzelnes Medium eine gute Zusammenfassung zu erarbeiten, was man jeden Tag und die Woche über machen möchte.
Außerdem kann ich mich mit meinem Umfeld absprechen, wie ich mich bei einem möglichen Overload ausklinke, wenn es mir zu viel wird. Wenn wir z. B. Freunde besuchen, besprechen meine Frau und ich vorher, wie es mir gehen könnte, welche Möglichkeiten eines Rückzuges vorhanden sind und wie lange ich voraussichtlich bleiben möchte.
Der Wochenplan ist inzwischen in meinen Alltag integriert, selbst wenn ich ihn nicht immer zu 100 % nutze und auch nicht jede Stunde hineinschaue.
Downloads:
Wer sich für den Wochenplan interessiert, kann ihn hier downloaden. Es stehen zwei Varianten zur Verfügung, einmal die bunte Variante und einmal die Variante in Grün.
Quellen/Hinweise/Fußnoten: